Inflation der Mikrochips im Alltag - Studie warnt

Laut einer Studie von Zukunftsforschern aus Berlin und Bern steht eine inflationäre Vermehrung der immer winzigeren technischen Wunderwerke bevor. Ungeheure Mengen der Chips dringen immer tiefer in den Alltag ein und verändern ihn. Der Kühlschrank der Zukunft denkt mit. Eingebaute Mikrochips lesen Verfallsdaten von so genannten schlauen Etiketten der Wurst- oder Käsepackungen...

Der Verbraucher erfährt aus dem Dunkel des Küchengeräts via Internet: Salami und Edamer sofort verbrauchen und durch Neuware ersetzen. Doch das ist nur die harmlose und für manch schussligen Verbraucher segensreiche Folge des unaufhaltsamen Siegeszuges von Milliarden Mikrochips.

Größere Veränderung als Internet
"Die Durchdringung unseres Alltags mit so genannten schlauen Gegenständen könnte unser Leben weitaus mehr verändern als es das Internet bereits getan hat", sagte Siegfried Behrendt vom Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT). Das IZT hatte gemeinsam mit dem Schweizer Zentrum für Technologiefolgen- Abschätzung eine Studie zu diesem Themenbereich erstellt.

IZT-Leiter Rolf Kreibich warnt eindringlich vor den Gefahren durch eine kaum steuerbare Zunahme von Strahlungsquellen mit bedrohlichen Folgen für die Gesundheit. Im sozialen Bereich drohe eine dramatische Zunahme der Spaltung der Gesellschaft in Nutzer mit klaren Vorteilen und in von der Entwicklung völlig abgehängte Bevölkerungskreise.

Mikrochips in Menschen
Der 350-seitigen Studie zufolge wird es schon in den kommenden zehn Jahren "eine riesige Zahl von mit Elektronik durchsetzten Gegenständen" geben. Wie bei Tieren etwa zum Auffinden von ausgebüxten oder gestohlenen Hunden und Katzen schon üblich, könnten bald auch Menschen "mit Mikroprozessoren bestückt" werden. Unter die Haut implantierte Mikrochips dürften möglicherweise bei Entführungsfällen hilfreich für die Fahndungsmaßnahmen der Polizei werden. Ein Missbrauch der Sensorensignale könne jedoch zur völligen Auflösung jeder Privatheit führen. Die Überwachung von Bewegungsprofilen und die digitale Bevormundung könnten gefährliche Folgen für die gesamte freiheitliche Gesellschaft haben, sagen die Forscher.

Mit Sicherheit werde praktisch für alle Menschen die gesundheitliche Belastung durch eine künftig enorm höhere Zahl von Strahlungsquellen zunehmen. Weil die Mikrochips der Zukunft mit drahtlosem Datenaustausch als "Funkchips" komplett vernetzt würden, steige die schon beim Handy umstrittene Strahlenfrequenz für den einzelnen Nutzer in völlig neue Dimensionen. So könnten zwar chronisch Kranke zum Beispiel bei Herzproblemen von den Chips profitieren, gleichzeitig könnten sie von ihnen zusätzlich krank gemacht werden.

Ganz neue Fragen der Entsorgung werden die kaum zu übersehenden Mengen von künftigem Elektronikschrott aufwerfen, sagt die Studie voraus. Auch der Energieverbrauch werde drastisch steigen, wenn immer mehr Gegenstände in Autos, Haushalten, in Kleidungsstücken und sogar in Lebewesen zu Milliarden und Abermilliarden drahtlos vernetzt werden. Die "Computerisierung des Alltags" zwinge auch zu neuen Inhalten des Haftpflichtrechts und des Datenschutzes.

Für Rolf Kreibich überwiegen die Risiken. Der Zukunftsforscher drängt die Gesellschaft zu einer intensiven Diskussion über die drohende Technik-Abhängigkeit. Handy und Internet, jede Erfindung für sich einschneidend, seien nur "Vorreiter" für die bevorstehenden viel tiefer gehenden Umwälzungen, heißt es von den Berliner und Berner Autoren der Studie. (APA/Red.)