USA als "Big Brother": Wer kontrolliert das Internet?

Im 38. Stockwerk des UNO-Hauptquartiers in New York werden normalerweise nur Staats- und Regierungschefs oder mächtige Konzernherren empfangen. Als jetzt dort der Präsident einer kalifornischen Non-Profit-Organisation mit dem sperrigen Namen Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) von UNO-Generalsekretär Kofi Annan begrüßt wurde, signalisiert dies eine wachsende Beachtung für diese Institution zur Verwaltung der Internet-Adressen.

Die ICANN betreut das "Domain Name System", das Ordnungssystem für Internet-Adressen und ihre Zuordnung zu IP-Adressen - also zu jenen Zifferncodes, die jeden Rechner im Internet eindeutig kennzeichnen. Aufgrund der Anfänge des Internet als Projekt der US-Streitkräfte untersteht die ICANN bis heute der Aufsicht der USA und ist dem Wirtschaftsministerium rechenschaftspflichtig. Diese Abhängigkeit des globalen Computernetzes von einem einzelnen Staat stößt zunehmend auf Kritik.

Nachdem der Sondergipfel der Vereinten Nationen über die Informationsgesellschaft im Dezember vergangenen Jahres keine Einigung über die künftige Verwaltung der Internet-Adressen gefunden hat, soll eine UN-Arbeitsgruppe dem Generalsekretär bis zum kommenden Jahr einen Bericht mit Empfehlungen vorlegen. Bei einer Anhörung vertraten jetzt rund 200 Fachleute - Diplomaten, Manager von Computerfirmen und engagierte Vertreter der unabhängigen Internet-Szene - ihre Standpunkte.

"Die ICANN muss internationaler und transparenter werden", forderte der stellvertretende Vorsitzende der UN-Arbeitsgruppe über Informations- und Kommunikationstechnologien, Talal Abu Ghazaleh. Eine gute Plattform dafür wären die Vereinten Nationen, findet der sudanesische Computerwissenschafter Isseldin Mohamed Osman. Schließlich seien dort schon alle Länder vertreten.

Die Unternehmen sind skeptisch, ob die Vereinten Nationen diese Rolle spielen könnten. Sie räumen aber ein, dass irgendeine Art von internationaler Körperschaft nützlich wäre, um übergreifende Fragen wie Sicherheit, Sprachen oder die Internet-Reichweite in Entwicklungsländern zu koordinieren. Netzsicherheit, Datenschutz und Spam, das Problem der unerwünschten E-Mail-Werbung, nannte die stellvertretende UNO-Generalsekretärin Louise Frechette als Themen, in denen eine internationale Zusammenarbeit gefordert ist.

Für internationalen Streit sorgt auch immer wieder die Verwaltung der Länder-Domains: Im Jahr 2000 führte die ICANN die Endung .ps für palästinensische Web-Sites ein, während die Bildung eines eigenen Staates noch lange nicht sicher ist. Während der Taliban-Herrschaft in Afghanistan übertrug die ICANN die Verwaltung der Adressen mit der Endung .af an Exilafghanen; erst im März 2003 wurde die neue afghanische Regierung dafür zuständig. Und über das Schicksal der irakischen "Country Code Top Level Domain" (ccTLD) .iq ist bis heute noch nicht entschieden.

"Wir haben eine kalifornische Institution, die dem Wirtschaftsministerium untersteht und die Entscheidung trifft, was ein Land ist", kritisierte der ehemalige ICANN-Direktor Karl Auerbach. ICANN-Präsident Paul Twomey weist jeden Verdacht einer Beeinflussung durch die US-Regierung zurück. Aber auch er tritt für die Aufnahme von mehr nicht-amerikanischen Mitgliedern in das Direktorium der Organisation sowie für die Einrichtung neuer Niederlassungen im Ausland ein. Bisher hat die ICANN mit Sitz im kalifornischen Marine del Rey nur eine einzige Auslandsvertretung, und zwar in Brüssel.

Zumindest technisch wäre es möglich, ein ganzes Land aus dem Cyberspace zu verbannen. Dazu müsste nur die entsprechende ccTLD gestrichen und der Eintrag der zugehörigen Name-Server in den Zentralregistern für das Internet gelöscht werden. (apa/red)

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