Kollektive Intelligenz auf dem Vormarsch:
Web-2.0-Pionier ortet Internet-Forstschritte

Die Vision von der künstlichen Intelligenz wird Wirklichkeit, so Web 2.0-Pionier Tim O'Reilly im Interview mit der Deutschen Welle. Das Leben mit dem Internet sei viel weiter als manche ahnungslose Nutzer meinten. Und es gebe keinen Weg zurück. O'Reilly ist sich allerdings nicht sicher, ob der nächste große Technologie-Schub mit dem WorldWideWeb verbunden ist.

"Wenn wir über unseren Umgang mit Computern reden, verbinden wir das immer noch damit, vor einem Bildschirm zu sitzen und auf einer Tastatur zu tippen. Aber Computer werden immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Die offensichtliche Veränderung ist zunächst - was ja viele Menschen auch schon beschrieben haben-, dass auch mobile Endgeräte oder Mobiltelefone als Plattform dienen. Damit ist auch verbunden, dass Spracherkennung immer besser wird. Oder dass Fotoapparate mittlerweile mit GPS ausgestattet sind. Wenn Sie damit ein Foto machen, ist der Ort automatisch Teil des Fotos und damit Teil der Information, die Sie zum Beispiel auf eine Web-2.0-Anwendung wie flickr stellen. Und plötzlich lernt das globale Gehirn etwas, was Sie gar nicht beabsichtigt haben", betont O'Reilly.

Nahe an der künstlichen Intelligenz
Microsoft habe eine Software vorgestellt, die Photosynth heißt. Mit ihr könnten aus aneinander gereihten Digitalfotos 3-D Modelle entworfen werden. Man müsse die Fotos nur mit "Tags" versehen, also markieren, und jemand anderes nutzt das und führt alles zu einem 3-D Modell zusammen. "Wir bewegen uns also in Richtung künstlicher Intelligenz. Allerdings ist immer noch ein Mensch dahinter, der dem Programm sagt, was es tun soll. Aber das Beispiel zeigt, was mit der Nutzung kollektiver Intelligenz gemeint ist. Wir geben immer mehr Daten in das globale Netzwerk ein, und Menschen schreiben Programme, die neue Verbindungen erstellen. Es ist, als würden die Synapsen des kollektiven Gehirns wachsen. Ich glaube, wir dürfen Überraschungen erwarten", meint O'Reilly.

"Aus Milliarden mach' eins"
Die Informationen aus dem Internet werden nach seiner Erkenntnis auf viele verschiedene Arten zugänglich sein. "Wir denken immer, es gibt Milliarden Computer da draußen - aber das stimmt nicht. Es gibt eigentlich nur einen, und darum geht es im Web 2.0. Alles wird mit allem verbunden. Und was wir heute unter einem Computer verstehen ist eigentlich nur ein Zugangsgerät zu dem einen weltweiten elektronischen Gehirn, das wir erschaffen", sagt O'Reilly.

Schubumkehr: Von der Schrift zur Sprache
Webexperten halten die Visionen von O'Reilly für realistisch. Lupo Pape etwa, Geschäftsführer von SemanticEdge, meint, dass die fehlenden Bausteine dafür jetzt schon verfügbar seien, so dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis sich die Menschen weltweit an dieses neue Interface gewöhnt haben. "Die Spracherkennung im personalisierten Diktiermodus ist schon sehr weit gereift, die mobilen Datenzugriffe werden immer schneller und auch Flatrates im Mobilfunk werden vermutlich bald genauso verbreitet sein wie im DSL-Geschäft", weiß Pape.

Spannender werde es noch, wenn man in der nächsten Generation des Internets, dem SemanticWeb, auf eine gesprochene Frage nicht eine Flut von Weblinks angezeigt bekommt, sondern das Sprachdialogsystem gleich die richtige Antwort gibt. "Viele Informationen liegen bereits strukturiert vor wie Fahrplaninformationen, Telefonnummern, Sportergebnisse oder bewertete Restaurants und sonstige Adressen. Was fehlt, ist eine Art Yahoo des 'Voicewebs', über das sich jeder personalisiert seine gewünschten Angebote zusammenstellen und über Sprache oder Multimodale Interfaces abfragen kann. Anfänge gab es auch hier schon in den USA mit Voice-Web-Portalen wie Tellme, einer Firma, die gerade von Microsoft aufgekauft wurde. Weltweit arbeiten sehr viele von Entwickler bei Google daran, die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine zu verbessern", resümiert Pape. (pte/red)