Die neue Schriftlichkeit: Von der Füllfeder zur Taste

E-Mails, SMS und ein Chat im Internet - wer angesichts des elektronischen Schriftwechsels noch zur Füllfeder greift, gilt schon fast als Nostalgiker. Nicht nur der Prozess des Schreibens, sondern auch die Sprache hat sich grundlegend verändert. Doch wo manche vor einem unwiederbringlichen Kulturverlust mahnen, sehen Sprachforscher auch einen positiven Wandel, sogar ein neues starkes Interesse am Schreiben bei den Jüngeren ins Land ziehen. "Es kommen neue Ausdrucksregister hinzu, die man bei Bedarf ziehen kann", sagt Prof. Rüdiger Weingarten, Sprachwissenschafter an der Universität Bielefeld.

Auch Inge Blatt von der Arbeitsstelle "Schriftkultur und ihre Medien" an der Universität Hamburg zieht ein optimistisches Resümee: So viel geschrieben habe die junge Generation schon lange nicht mehr. "Es gibt eine neue Schriftlichkeit." Die Erziehungswissenschafterin erforscht den Umgang von Schülern mit den neuen Medien. Danach ist das Erstellen von Texten am Computer, das Verschicken von SMS per Handy oder auch das Chatten im Internet für die meisten täglich Brot.

Allerdings halten die neuen Möglichkeiten des schnellen Schreibens nach Blatts Erfahrungen auch Fußangeln bereit - so häufen sich Fehler in der Rechtschreibung, weil allzu blindes Vertrauen in das Rechtschreibprogramm gelegt wurde. Oder es entstehen Texte in "Collagentechnik", bei denen Versatzstücke grammatikalisch nicht angeglichen werden.

Und auch dem Diebstahl fremden geistigen Eigentums, sprich dem Textklau bei anderen, ist kaum ein Riegel vorzuschieben. "Für diese Texte gilt: Veränderung ist leicht, Kontrolle schwierig", sagt Blatt, die die neuen Möglichkeiten dennoch rundum befürwortet - eben weil sie das Ausdrucksspektrum erweitern und zumindest theoretisch die Teilhabe an einem großen Wissensschatz ermöglichen.

Mündlichkeit wird simuliert
Wilfried Schütte vom Institut der Deutschen Sprache in Mannheim hat bei seinen Forschungstrips durch Chatrooms im Internet und E- Mail-Listen bei der neuen Schriftlichkeit vor allem eines festgestellt: "Hier wird Mündlichkeit simuliert."

Umrankt von umgangssprachlichen Verschleifungen, einem reichen Schatz vorzugsweise englischer Abkürzungen und kommentierenden Emoticons werde eine künstliche Mündlichkeit geschaffen, die vor allem durch eines auffalle: ihre Direktheit. Umso wichtiger sei es, dass jedes Kommunikationsforum seine eigene "Netiquette", also Umgangsregeln, formuliere und deren Einhaltung auch beachte. Denn Gefahren berge das neue Medium weniger durch den bunten Sprachmix als die Möglichkeit der Verrohung, hervorgerufen durch die Anonymität der Teilnehmer.

Die Handschrift wird überleben
Einen Verlust für die bisherige Schriftlichkeit kann auch Sprachwissenschaftler Weingarten in den Neuerungen nicht finden: "Mit der Handschrift werden viele romantische Gefühle verbunden. Aber bei genauem Hinsehen sind die seit langem mehr Fiktion als Realität." Tagebücher oder Briefe eines Thomas Mann stünden einem da vor Augen.

Doch mit dem "Schreiballtag" der meisten habe dieses hehre Bild wenig zu tun. "Eine E-Mail ist sprachlich natürlich anders als ein Brief. Aber die Flexibilität ist groß, jeder kann ja auswählen. Und wer gerne mit der Hand schreibt, kann das auch weiterhin tun."

Historiker und Literaturwissenschaftler hingegen haben eine wohl nicht unberechtigte Furcht vor dem Boom der E-Mail-Korrespondenz - denn wären die umfangreichen Briefwechsel vieler Literaten und Staatsmänner heute wohl erhalten, wenn scheinbar Nebensächliches aus der Mailbox gleich in den kleinen Papierkorb auf der Bildschirmoberfläche gewandert wäre?

(apa/red)