1984? Kein Problem, schreib' ich mir selbst!
Facebook, die Überwachung Marke Eigenbau

Vielen wird Orwell's Roman "1984" noch in guter Erinnerung sein. Die düstere Vision eines totalitären Überwachungsstaates hat sich in unserer Gesellschaft glücklicherweise zwar nicht bewahrheitet, gewinnt aber sechs Jahrzehnte nach Veröffentlichung an Aktualität. Schauplatz ist nicht etwa Ozeanien, sondern ein ubiquitäres Eiland im Internet, das auch 600.000 Österreichern bestens bekannt sein dürfte: Facebook.

Die boomende Plattform zur Unterhaltung sozialer Netzwerke ist aus dem Alltag vieler nicht mehr wegzudenken. Genauer gesagt sind es mittlerweile weit über 200 Millionen Nutzer, die das Bedürfnis haben, ihre Befindlichkeiten - manchmal mehr, manchmal weniger penibel - zu dokumentieren und nicht zuletzt auch mit ihren "Freunden" zu teilen. Mehrere hundert Personen in einer Kontaktliste sind bei versierten Nutzern keine Seltenheit, schließlich ist die Freundschaft bei Facebook nur einen Klick entfernt und glücklicherweise muss man sich ja auch nicht wie im echten Leben regelmäßig darum bemühen. Vielmehr bemüht man sich, am Laufenden zu bleiben und am Tanzparkett der Narzisten den Blick auch mal auf sich zu lenken.

Im Rausch des Sehens und Gesehenwerdens bleibt die Privatsphäre nicht selten auf der Strecke. Hier ein pikantes Foto, dort ein zweideutiges Bekenntnis und schon kann sich unter Umständen ein Bild abzeichnen, das weitreichende Konsequenzen wie etwa den Jobverlust im realen Leben haben kann. Und was einmal veröffentlicht ist, kann nur schwer bis gar nicht rückgängig gemacht werden. Wenn man es nämlich einmal geschafft haben sollte, seinen Account zu löschen, ist die Wahrscheinlichkeit immer noch relativ hoch, Rückstande als Dateileichen in Suchmaschinen aufstöbern zu können. Nicht umsonst gibt es mittlerweile Agenturen, die sich darauf spezialisiert haben, Internet-Identitäten auf Wunsch zu säubern.

Hinzu kommt die Unsicherheit, keine Garantie dafür zu haben, dass auch nur wirklich jene Leute Einblick in das virtuelle Lebenswerk bekommen, denen man es auch gewährt. Selbst wenn man nichts zu verbergen hat, was oft als Gegenargument zur "Überwachungsparanoia" aufgeführt wird: Ein hackender Spaßvogel reicht, um die Suppe der virtuellen "Sociability" zu versalzen. Oder wie wäre es mit einer Werbeagentur, der das Foto aus dem Familienalbum so gut gefällt, dass es ungefragt als Sujet für die nächste Kampagne verwendet wird? Spätestens der Umstand, dass auch Geheimdienste ihr Unwesen auf Facebook treiben, sollte - ungeachtet der beliebten Verschwörungstheorie, dass die Plattform in Wahrheit überhaupt von der CIA gegründet wurde - bedenklich stimmen. Der Große Bruder scheint nicht weit entfernt.

Kritische Gemüter werden jetzt einräumen, dass die Qualität der Überwachung in "1984" freilich eine andere ist. Stimmt. Im Roman ist sie erzwungen und erfolgt nicht aus freien Stücken. Noch dümmer als sich freiwillig überwachen zu lassen, ist es aber, auch noch selbst aktiv daran mitzuwirken. Willkommen bei Facebook.

(Benjamin Brandtner)