Vom Marketing-Gag zum Nachschlagewerk:
Österreichisches Telefonbuch feiert "125er"

Vom Marketing-Gag zum Nachschlagewerk:
Österreichisches Telefonbuch feiert "125er"

Otto Wanz hat sie mit Vorliebe zerrissen. Hie und da müssen sie auch als "Stockerl" herhalten. Aber meistens dienen sie als das Nachschlagewerk schlechthin. Trotz Internet und Handy-Diensten haben die gelben Papierkolosse ihre Vormachtstellung eindrucksvoll behaupten können: Die Telefonbücher. 1881 ist die erste Version als Annonce in einer Zeitung erschienen. 125 Jahre später sind daraus kiloschwere Wälzer geworden.

Am 1. Dezember 1881 wurde in der Friedrichstraße in Wien eine Fernmeldezentrale mit 154 Teilnehmern in Betrieb genommen. Und da die Fräuleins beim Vermitteln per Hand "stöpseln" mussten und sich natürlich nicht jede einzelne Nummer merken konnten, wurde eine entsprechende Übersicht, ein Amtsblatt, gedruckt. Doch Mirko Herzog vom Wiener Technischen Museum weiß mehr: "Bereits einige Monate zuvor hatte die private Telefongesellschaft eine Liste von Prominenten und bekannten Lokalitäten, die über einen Anschluss verfügten, im humoristischen Volksblatt Kikeriki inseriert. Eigentlich nur ein Marketing-Gag, mehr nicht."

Anfangs nur ein Heft
Das erste wirkliche Telefonbuch, auch nur ein Heft, erschien am 1. April 1886 im Umfang von 28 Seiten und zum Stückpreis von zehn Kreuzern. Aber rasch wurden die Anschlüsse immer mehr, aus Telefonblättern und -heften entwickelten sich dicke Bücher. Lediglich 1941, als die Nazis mit den Deportationen jüdischer Bürger in die Konzentrationslager begannen, wurden selbst die Nummernverzeichnisse "judenrein" gemacht, alte Telefonnummern erhielten plötzlich neue Teilnehmernamen.

Telefonbuch weiterhin unverzichtbar
125 Jahre nach Erscheinen des ersten Telefonbuches ist zwar die Welt eine völlig andere geworden, doch Bedeutung und Beliebtheit des Nummernspeichers in Printform haben nicht nachgelassen. Obwohl die Konkurrenz mit Internet und Auskunft via Handy enorm ist. Die Marktforschung attestiert dem Telefonbuch noch ein sehr langes Leben: Acht von zehn Österreicher suchen auch zu Beginn des Dritten Jahrtausends regelmäßig im schier endlosen Lettern- und Zifferndschungel, 70 Prozent würden das Telefonbuch vermissen.

5.700 Tonnen bedrucktes Papier
Gigantisch sind mittlerweile die Produktionszahlen: Für die jährlich aktualisierte Ausgabe werden vom Herold Verlag im Auftrag der Telekom Austria 5.700 Tonnen Papier bedruckt. Um alle Telefonbücher auf einmal zu transportieren, würde man 7.650 Paletten benötigen, die auf 248 Sattelschlepper geladen werden müssten. Und noch eine Zahlenspielerei: Alle Papierrollen abgewickelt und hintereinander aufgelegt ergäben eine Strecke von 137.416 Kilometern.

Max Mustermann lässt grüßen
Der Schutz dieser enormen Datenmengen wird per Gesetz geregelt, denn es wurde das "Einschmuggeln" so genannter Kontrolleinträge verordnet. Soll heißen: Irgendwo in den unendlichen Weiten der Telefonbücher sind Namen, Rufnummern und Adressen angegeben, die in dieser Zusammensetzung gar nicht existieren. Nachdem manche den Inhalt widerrechtlich verwenden und sogar weiterverkaufen, funktionieren diese "Fakes" als Kontrollmechanismus. Erhält der Verlag an diese Adressen Post, kann gegen den Absender rechtlich vorgegangen werden.

Jedes Jahr was Neues
Übrigens: Wer stets in aktuellem Material blättern möchte, sollte seine Telefonbücher jährlich austauschen (kostet nur die Zustellgebühr). Denn nahezu 30 Prozent der Einträge der rund 3,5 Millionen Telefonteilnehmer in Österreich ändern sich jedes Jahr. Für die Mitarbeiter von Herold wird es also nie langweilig. Da soll noch einer über das Telefonbuch behaupten: Viele Personen, sehr wenig Handlung. (apa/red)