Es geht um 10.000 Jobs: Siemens Deutschland droht mit der Verlagerung

Deutschlands größten Elektronikkonzern Siemens zieht es offenbar immer stärker ins Ausland: Mehr als 10.000 Arbeitsplätze in Produktion und Entwicklung seien in Deutschland in akuter Gefahr, weil in Osteuropa und Asien billiger gearbeitet wird, berichtete die IG Metall am Montag in München. Konkrete Pläne oder Beschlüsse liegen laut einer Siemens-Sprecherin aber noch nicht vor. Mögliche Stellenverlagerungen will der konzerninterne Wirtschaftsausschuss am 31. März beraten. In Österreich gibt es derzeit "keinerlei derartige Überlegungen", hieß es dagegen auf APA-Anfrage aus der Siemens Pressestelle in Wien.

Bei der Sitzung in München werde der Siemens-Konzern dem Gesamtbetriebsrat die gesamten Verlagerungspläne vorstellen, erwartet die Gewerkschaft. Erstmals seien in großem Umfang qualifizierte Tätigkeiten in der Entwicklung und der Verwaltung betroffen, die bisher als sicher galten. Wie viele Arbeitsplätze wohin verlegt werden sollen, dazu äußerte sich die Firmensprecherin nicht. Siemens beschäftigt in Deutschland derzeit 167.000 von weltweit 414.000 Mitarbeitern. IG-Metall-Bezirksleiter Werner Neugebauer bezeichnete es als "Skandal, dass ein Großunternehmen wie Siemens, das von den Qualitäten des Standorts Deutschland enorm profitiert hat, wegen kurzfristiger Kostenvorteile nach Osten, nach Osteuropa, Indien und China flieht".

Erst vor kurzem hatte die Gewerkschaft Alarm geschlagen, weil in der Handy-Produktion in Nordrhein-Westfalen 2.000 von 4.500 Arbeitsplätzen nach Ungarn verlagert werden sollen. In den Werken Kamp-Lintfort und Bocholt müssten 30 Prozent der Personalkosten eingespart werden. Die Mobilfunksparte ICM hatte im Startquartal 2004 die Rekordzahl von 15,2 Millionen Handys verkauft. In Baden-Württemberg erwägt Siemens die Verlagerung von 500 bis 600 Stellen nach China. Betroffen ist die frühere Verlustsparte Netzwerktechnik ICN, in der auf dem Rückweg in die schwarzen Zahlen bereits 20.000 Stellen - etwa jede dritte - wegfielen. Am schwäbischen Standort Bruchsal könne die Massenfertigung von DSL-Modems nicht mehr zu konkurrenzfähigen Kosten erfolgen, teilte Siemens Anfang Februar mit. Die Situation dränge, weil die Preise im Sinkflug seien. Beschlüsse gibt es auch hier noch keine. Außer den Telekommunikationssparten droht die Jobverlagerung ins Ausland laut IG Metall auch den Geschäftsfeldern Energieübertragung, Verkehrs-, Automatisierungs- und Medizintechnik. Verwaltungsaufgaben für Europa wie die Buchhaltung werden derzeit nach Tschechien ausgelagert. Weitere Funktionen stehen auf dem Prüfstand.

Siemens-Chef Heinrich von Pierer hatte im Herbst angekündigt, Niedrigkosten-Standorte stärker nutzen zu wollen. Als Beispiel nannte der Vorstandsvorsitzende China: "12.000 Ingenieure kosten dort so viel wie in Deutschland 2.000." Weitere Wachstumsregionen seien Russland, Indien und Japan. Siemens-Chefstratege Johannes Feldmayer führte später aus, der Konzern werde in einigen Jahren etwa ein Drittel der Entwicklungsarbeiten an billigen Ost-Standorten leisten lassen. Siemens beschäftigt weltweit mehr als 50.000 Forscher und Entwickler, davon gut 30.000 in Deutschland, den Rest überwiegend in Hochlohnländern.

In Osteuropa arbeiten im Moment 2.700 Siemens-Entwickler an 21 Standorten. "Diese Zahl wird zügig wachsen", sagte Feldmayer und verwies auf den allgemeinen Trend in Richtung Osten. In Indien, wo derzeit 3.000 der 30.000 Software-Programmierer von Siemens arbeiten, soll die Mitarbeiterzahl jährlich um mindestens 30 Prozent steigen.

Der Siemens-Konzern, einer der größten Arbeitgeber in Deutschland, betont unterdessen sein Interesse, die Stellen im Inland zu erhalten. Laut Pierer müssen dazu aber die Kosten sinken. Ein Weg sei, "wieder fürs selbe Geld mehr zu arbeiten, um international wettbewerbsfähig zu sein". Außer für die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich spricht sich der Siemens-Chef für die Wiedereinführung des Samstags als zuschlagfreien Werktag aus. (apa)

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