Je größer die Brüste, desto eher ein Typ:
Warum Männer virtuell gerne Frauen spielen

Tagsüber arbeitet Freeman Williams in einer kleinen Zahnarztpraxis in Houston. Aber jeden Abend mutiert der 48-Jährige zur Frau: Im Multiplayer-Online-Rollenspiel "City of Heroes" schlüpft Williams in sein virtuelles Alter Ego der Superheldin "Robotrixie" und schleicht durch Straßen, in denen an jeder Ecke Verbrecher lauern. Ein klarer Fall von "Gender-Bending", dem virtuellen Verbiegen des eigenen Geschlechts.

"Das ist meine Katharsis geworden, meine Flucht aus der Arbeitswelt", erklärt Williams. Weil er in der Spielewelt auch mit den anderen Figuren spricht, verstellt er seine Stimme, um den fraulichen Eindruck nicht zu stören.

Schon seit Shakespeare bekannt
In die Haut des anderen Geschlechts zu schlüpfen, ist keineswegs neu - man denke nur an die Verwirrungen in den Dramen von Shakespeare. Aber Online-Spiele wie "City of Heroes" oder "World of Warcraft" bieten ganz neue Möglichkeiten, um sexuell gewandelt in höchst realistisch wirkende Traumwelten auf dem Computerbildschirm einzutauchen. Das fängt für viele schon bei der anfänglichen Gestaltung der eigenen Figur an, bei der sich ganz elementare Fragen stellen: Will ich eher heilen oder anderen schaden? Sehe ich mich lieber als grünhäutigen Ork oder als spitzohrige Elfe? Und will ich lieber Mann oder Frau sein?

Spielerische Vorteile, Optik & Co.
Mit der Wahl eines weiblichen Avatars ist Williams keineswegs allein. Es könne eine Vielzahl von Beweggründen für diese Entscheidung geben, sagt die Psychologin Kathryn Wright, die sich für das Web-Portal womengamers.com engagiert. Für eine Studie befragte sie 64 Männer mit weiblichen Computerspielfiguren. Mehr als die Hälfte von ihnen gab an, dass sie sich davon einen besonderen Vorteil im Spielverlauf versprechen. Jeder vierte Mann versprach sich davon einen zusätzlichen Kick der Rollenspielerfahrung. Andere hatten eine ganz einfache Erklärung - den optischen Reiz beim Anblick der eigenen Figur. "Sie schauen lieber auf eine Gestalt, die wie Lara Croft aussieht als auf einen Charakter wie Rambo", erklärt die Psychologin.

Wölfe im Schafspelz?
Eine eigene Methode zur Ermittlung des tatsächlichen Geschlechts ihrer Spielpartner hat die 31-jährige Rechtsanwaltsgehilfin Erica Poole entwickelt. "Ein wichtiger Hinweis ist schon mal die Tatsache, dass jemand knapp bekleidet ist", sagt sie und fügt hinzu: "Je größer die Brüste, desto eher ein Typ." Außerdem zieht Poole ihre Schlüsse aus der Kommunikation im Chat-Fenster: "Die meisten Kerle verfügen nicht gerade über viel Gefühl, auch dann nicht, wenn sie versuchen, ein Mädchen zu sein."

Gender-Bending? Nein, danke!
Nach Schätzungen des amerikanischen Verbands für Unterhaltungssoftware sind etwa 38 Prozent der Computerspieler weiblich. Allerdings gibt es gar nicht so viele Spiele, in denen die Wahl eines weiblichen Helden möglich ist. Das ist auch einer der Gründe für Erica Poole, ihrem Geschlecht in der Online-Welt treu zu bleiben. Auch Mike Janney, beruflich ein Software-Tester bei Microsoft, spielt immer nur männliche Rollen - alles andere wäre für ihn unaufrichtig, sagt er. "Ich neige dazu, im Gespräch mit anderen Spielern ich selbst zu bleiben. Und es ist für mich ziemlich irritierend, wenn ich einen männlichen Spieler in einer Frauenrolle erlebe." (apa/red)