Hausbesuch bei den Taliban: EA provoziert mit Afghanistan-Shooter "Medal of Honor"

Durch das Nachtsichtgerät sind die Menschen am Boden gut auszumachen, ihre Wärmesignaturen heben sich deutlich von den umgebenden Felsen ab. Einfach anvisieren, den Abzug durchziehen, und Sekunden später schlagen die Geschosse auch schon am Boden ein. Mission erfüllt, Game over für die Terroristen ...

Skandal um die Taliban. Medal of Honor (ab 12. Oktober für PC und Konsole) enthält Szenen, die Assoziationen mit dem von Wikileaks veröffentlichten geheimen Pentagon-Video auslösen. Das ist aber gar nicht der Grund, warum der Shooter schon seit Wochen für Schlagzeilen sorgt. Im Multiplayermodus ist es nämlich möglich, aufseiten der Taliban gegen westliche Truppen zu kämpfen. Und just mit diesem Feature hat sich EA ins Schussfeld von Politikern, Militärs und Familien gefallener Soldaten katapultiert. Unter Gamern liegt der Fokus freilich mehr auf der Frage: Wie gut ist das Spiel überhaupt? E-MEDIA hat sich die Xbox-Fassung angesehen.

In Afghanistan nichts Neues
Im Game schlüpft man in die Rolle eines Elitesoldaten in Afghanistan in den Wochen nach dem 11. September. Gewiss ein provokantes Setting. Aber als Shooter-Spieler ist man mittlerweile über jeden Titel froh, der nicht im arg überstrapazierten Szenario "Zweiter Weltkrieg" angesiedelt ist.

Häuserkampf in einer Talibanhochburg, Geiselbefreiung bei Nacht und Nebel: Medal of Honor liefert Action nonstop und das in sensationeller grafischer Qualität. Als Abwechslung zum klassischen Ballern ist man auch schon mal mit Quads im (schlauchförmigen) Gelände unterwegs, ballert aus einem fahrenden Jeep oder in der eingangs erwähnten Sequenz aus dem Hubschrauber. Mitunter markiert man auch als Aufklärer per Laserpointer Ziele für anfliegende Kampfjets. Allein: Wirklich neu ist auch das alles nicht. Wer zuletzt Modern Warfare 2 oder Battlefield Bad Company 2 gespielt hat, weiß recht genau, was ihn erwartet: Ein pathetisches Epos über heldenhafte US-Soldaten, die im Alleingang ganze Gegnerhorden ausschalten. Technisch gut gemacht und hollywoodreif inszeniert, keine Frage. Aber eben doch ein Shooter nach bekanntem Strickmuster. Als Draufgabe gibt's dafür einen soliden Multiplayermodus - überraschenderweise plötzlich ohne die Taliban.

Halbherziger Rückzieher
Kurz vor Veröffentlichung des Games ist EA doch noch eingeknickt. Aufgrund der zahlreichen Beschwerden von Freunden und Familien gefallener US-Soldaten habe man sich entschlossen, die Taliban aus dem Multiplayerteil des Spiels zu entfernen, rechtfertigt sich Executive Producer Greg Goodrich.

Eine überraschende Wendung - und eine halbherzige noch dazu. In Wahrheit wurde kein einziger Pixel an den Spielfiguren geändert. Die Gegner sehen nach wie vor aus wie Taliban, kämpfen gegen US-Truppen wie die Taliban - heißen im Menü aber nur mehr "gegnerische Kräfte".

Gefährdet die Kontroverse den Erfolg des Spiels? Das genaue Gegenteil scheint der Fall zu sein. Electronic Arts freute sich zuletzt über mehr Vorbestellungen als bei jedem früheren Teil der altgedienten Shooter-Reihe.

(E-MEDIA/Huber)