Fallout New Vegas im TEST von NEWS.at:
Postapokalyptische Spielhölle gesichtet

Die Kehle ist trocken, der Gang schon schwerfällig. Aber weit und breit nichts als Wüste. Nach zwei Tagen kraftraubender Aufträge für die Bruderschaft des Stahls könnte die Rüstung eine Reparatur vertragen. Zum Glück funktioniert noch die Gatling Laserkanone. Das Sturmgewehr hatte ja nach dem letzten Banditenangriff zu klemmen begonnen. Bunte Lichterorgien aus der Ferne deuten die Oase inmitten eines gottverlassenen Fleckchens Erde an. New Vegas ist zum Greifen nahe. Plötzlich wird von einer Anhöhe aus das Feuer eröffnet. Ein Trupp von Cesar's Legion ortet unbefugtes Eindringen in ihren Herrschaftsbereich. Game Over?

"Fallout: New Vegas" (F:NV) ist der neueste Wurf der Spieleschmiede Bethesda Game Studios und soll das fortsetzen, was mit "Fallout 3" bereits 2008 erfolgreich eingeläutet wurde: Nämlich die Geschichte eines namenlosen Heldens zu erzählen, der seinen Platz in einer postnuklearen Parallelwelt der Vereinigten Staaten erst finden muss.

Es ist natürlich nicht der gleiche Held und auch der Schauplatz wechselt tausende Kilometer von der Ruinenlandschaft Washingtons zur westlichen Einöde der Mojave-Wüste. Die Mechanik des Rollenspiels ist aber die gleiche geblieben. Vom Pip-Boy als zentrales Navigationsinstrument über die reichhaltige Entwicklungsvielfalt des Charakters und den Aufbau bzw. Ablauf dutzender Missionen bis hin zum Zeitlupen-Kampfsystem V.A.T.S. fließt weitgehend neuer Wein in alten Schläuchen. Eines der fesselndsten Rollenspiele der letzten Jahre als Grundlage zu verwenden ist aber alles andere als verwerflich.

Absolut Hardcore
Es wäre natürlich unfair zu behaupten, dass sich im Westen gar nichts Neues tut. Die spielbeeinflussendste Novität bleibt aber skurrilerweise optional: Zu Beginn des Abenteuers hat der Spieler nach der Erstellung seines Charakters nämlich die Möglichkeit, den sogenannten "Hardcore-Modus" zu aktivieren. Anders als man vermuten würde, hat dies nicht zur Folge, dass der Kampf gegen eine Vielzahl unterschiedlichster Widersacher schwieriger gestaltet wird. Dafür gibt es eine eigene Einstellung.

Vielmehr muss man sich zusätzlich um regelmäßige Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme kümmern und unter anderem mit den Bedingungen ringen, dass Medikamente Verletzungen nur langsam heilen und selbst Munition als Gewicht zählt, das beim Bestücken des beschränkt aufnahmefähigen Gepäcks berücksichtigt werden muss. Wer diese Parameter vernachlässigt, wird mit Halluzinationen und starker Bewegungseinschränkung bestraft. Wie die Bezeichnung nahelegt, ist diese Spielart also auch nur hartgesottenen Recken zu empfehlen.

More of same
Ansonsten sind es kleine Details, die das üppige Spielerlebnis aus Fallout 3 zu bereichern versuchen. So ist in F:NV beispielsweise das Waffenarsenal reichhaltiger, weil es modifizierbar gestaltet wurde. Auch die Zahl der unterschiedlichen Fraktionen, die das Land besiedeln, hat sich merklich erhöht: Von den Great Khans im westlichen Gebirge bis zu den Boomers und Cesar's Legion in den östlichen Niederungen gibt es teils sehr unterschiedliche Interessen, die Mojave-Wüste politisch gestalten zu wollen. Und es liegt einmal mehr beim Spieler, das diesbezügliche Zünglein an der Waage zu spielen.

Mehr noch als bei Fallout 3 führt das aber nicht selten in langwierigen Dialog- und Backtracking-Orgien. Wenn man berücksichtigt, dass es weit über 100 Schauplätze zu erkunden gibt und Fußmärsche an nicht kartographierte Orte minutenlang dauern, arten Missionen manchmal in extrem zeitintensive Unterfangen aus.

Viva Las Vegas
Last but not least dürfte Fallout auch nicht um New Vegas ergänzt werden, wenn es an einer gesunden Portion Glücksspielen mangeln würde. Neben den Klassikern Roulette und Black Jack auf den Spieltischen des New Vegas Strips wurde dafür auch ein eigenes Kartenspiel namens Caravan ersonnen, das am besten als fortgeschrittene Version von Rummy bezeichnet werden könnte, aber vorwiegend fernab der Spielhölle von Händlern ausgetragen wird. Schafft man es jedenfalls, die eine oder andere Spielbank zu sprengen, muss man sich wenigstens kaum noch finanzielle Sorgen machen.

Angestaubt
War die Präsentation von Fallout 3 vor zwei Jahren aus technischem Standpunkt noch recht beeindruckend und das Artdesign erfrischend anders, so hat der Zahn der Zeit in F:NV sichtlich daran zu nagen begonnen. Die karge Landschaft ist für das Wüsten-Szenario zwar aufgelegt, verwaschene Texturen und hölzerne Animationen der menschlichen Einwohner hätten aber ein dringendes Update benötigt. Hinzu kommen im späteren Spielverlauf sehr lange Ladezeiten, die bei Marathon-Sessions nicht selten dazu führen, dass die Konsole überhaupt einfriert. Trotz allen Unkenrufen ist man so schnell von Spieltiefe und Handlungsverlauf eingenommen, dass man diese Mankos gerne in Kauf nimmt.

NEWS.at-FAZIT
Nach über 120 Stunden Spielzeit in Fallout 3 und knapp 30 Stunden Spielzeit in Fallout New Vegas wird man den Eindruck nicht los, dass sich Entwickler Obsidian zu wenig getraut hat, vom Vorgänger abzudriften. Oder es nicht durfte. Keine Frage: Das Rollenspiel-Niveau ist zweifelsohne sehr hoch angesiedelt und der Hardcore-Modus gerade für die Zielgruppe der Vielspieler eine willkommene Ergänzung. Ansonsten bieten kleine Veränderungen im Detail und eine neue Minispiel-Sammlung, die man an einer Hand abzählen kann, aber zu wenig frischen Wind, um von einem Nachfolger zu sprechen. Gigantisches Add-On wäre für Fallout New Vegas wohl die treffendere Aussage. Für Fallout-Jünger nichtsdestotrotz ein gefundenes Fressen. (Benjamin Brandtner)

Wertung: SEHR GUT

Info
System: PC, Xbox360, Playstation 3
Genre: Rollenspiel
Entwickler: Obsidian
Publisher: Bethesda Game Studios
Erscheint: ab 22. Oktober

Preis: rund 60 Euro