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Millionen Galaxien im Web klassifizieren

Das Internet hat eine neue Erfolgsgeschichte: Galaxy Zoo (www.galaxyzoo.org). Knapp 60 Millionen Galaxie-Klassifizierungen haben Surfer auf der Website schon vorgenommen und Profi-Forscher so mit wertvollen wissenschaftlichen Daten versorgt. Karin Masters hat eben eine Arbeit basierend auf den neuesten Daten veröffentlicht, Daniel Thomas ist einer der Mitgründer von Galaxy Zoo. E-MEDIA hat die beiden Astrophysiker im Interview.

E-MEDIA: Laien helfen Profi-Astronomen beim Klassifizieren von Galaxien. Eine faszinierende Idee. Wie kam es dazu?

Thomas: Ich war von 2005-2007 "Research Fellow" an der Universität Oxford. Dort betreute ich die Doktorarbeit von Kevin Schawinski. Ziel der Arbeit war es, die Entstehungsgeschichte von über zehntausend elliptischen Galaxien zu analysieren. Die Daten dafür kamen vom Sloan Digital Sky Survey. Insbesondere wollten wir verstehen, welche Rolle die supermassiven Schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien spielen. Elliptische Galaxien erkennt man daran, dass sie eine elliptische Form haben und keine Anzeichen einer Scheibe oder Spiralarme. Wir haben beschlossen, 50.000 Galaxien aus dem SDSS visuell zu inspizieren. Das hatte bis dahin noch niemand für eine solch immense Anzahl an Galaxien getan. Insgesamt fanden wir 16.502 elliptische Galaxien, auf denen dann Kevins Doktorarbeit aufbaute. Allerdings waren fast 50.000 visuell klassifizierte Galaxien die Grenze des Menschenmöglichen. Und so kam uns gemeinsam mit Chris Lintott in Oxford die Idee, die Öffentlichkeit über eine Internetseite zur Hilfe zu bitten. Die Idee war es, die Aufgabe möglichst einfach zu gestalten, und im Wesentlichen in elliptische und Spiralgalaxie klassifizieren zu lassen, so wie Kevin es in seiner Doktorarbeit getan hatte. Zusätzlich fragten wir noch nach der Orientierung der Spiralarme und Galaxienpaaren. Wir rechneten damit, im Laufe einiger Monate genug Klassifizierungen für eine wissenschaftliche Auswertung zu haben. Es kam aber ganz anders. Am 9. Juli 2007 eröffneten wir Galaxy Zoo. Nach wenigen Monaten hatten wir schon 100.000 Mitglieder und 33 Millionen Klassifikationen, das heißt jede der fast eine Million Galaxien wurde mindestens 30 Mal klassifiziert. Das hätte Kevin alleine in circa vier Jahren geschafft - ohne zu schlafen.

Masters: Niemand konnte ahnen wie populär das Projekt werden würde. Zu Beginn crashte der Server sogar wegen des unerwarteten Ansturms. Es ist einfach großartig, wie das Internet Leuten mit gleichen Interessen erlaubt zusammenzukommen und ernsthafte wissenschaftliche Arbeit zu machen. Als Wissenschaftler fühlt man plötzlich auch sehr viel mehr Verantwortung. Tausende Freiwillige liefern uns wertvolle Daten und diese Arbeit soll natürlich nicht umsonst sein!

E-MEDIA: Warum lässt man diese Arbeit nicht vom Computer machen?

Thomas: Die Unterschiede zwischen den Galaxientypen sind oft subtil. Da ist unser Gehirn immer noch der beste Computer, um die richtigen Muster im richtigen Zusammenhang zu entdecken. Viele Charakteristiken wie die Andeutung einer Galaxienscheibe, Spiralarme, oder Unregelmäßigkeiten durch Galaxienkollisionen sind vom Computer nur schwer vom Rauschen zu unterscheiden.

E-MEDIA: Was sind das für User, die in ihrer Freizeit Galaxien klassifizieren?

Thomas: Galaxy-Zoo-Mitglieder kommen aus sämtlichen beruflichen Zweigen und Altersgruppen. Die Hauptmotivation zur Teilnahme ist das Interesse an Astronomie, dennoch sind aber bei weitem nicht alle Amateurastronomen. Vielen Mitgliedern gefällt es zu echten wissenschaftlichen Studien beizutragen, oder die Dimension dieses globalen Projektes. Vielen macht es auch einfach nur Spaß.

E-MEDIA: Als Laie ist man sich bei vielen Bildern unsicher, womit man es wirklich zu tun hat. Wie wird sichergestellt, dass sich keine Fehler in die Daten einschleichen?

Thomas: Zunächst: Bei Grenzfällen gibt es keine "richtigen" Antworten. Problematisch sind Fälle, in denen die Datenqualität der Bilder einfach keine zuverlässige Klassifikation erlaubt. Das wichtigste Kriterium für uns ist also die Verteilung der Antworten. Eine Antwort könnte als "falsch" eingestuft werden, wenn sich ansonsten eine sehr klare Mehrheit für eine andere Antwort entscheidet. In unseren Studien benutzen wir aber oft gar nicht die Schwarz-Weiß-Situation, sondern die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Antworten. So geht also jede Klassifizierung mit ein, gewichtet mit der Anzahl an gleichen Antworten.

E-MEDIA: Was sind die gängigsten Fehler, die Surfer beim Klassifizieren machen?

Masters: Besonders weit entfernte Galaxien erscheinen auf den Bildern als unscharfer Fleck. Die meisten Leute klassifizieren sie daher als Ellipsen. Das führt zu dem Effekt: Je weiter entfernt eine Galaxie ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es eine Ellipse ist. So einen Trend sollte es aber eigentlich nicht geben. Da wir von diesem Effekt wissen, haben wir Möglichkeiten, ihn bis zu einem gewissen Grad zu korrigieren. Oder man beschränkt sich bei seinen Forschungen auf nähere Galaxien – das ist das, was ich getan habe.

E-MEDIA: Worum ging es in Ihrer Forschung?

Masters: Ich habe rote Spiralgalaxien untersucht, sehr ungewöhnliche und seltene Objekte. Die meisten Galaxien sind blaue Spiralen oder rote Ellipsen. Viele Astronomen unterschieden die Galaxien sogar einfach in "blau" und "rot". In der Tat haben Galaxy-Zoo-User aber eine kleine Anzahl von roten Spiralen und blauen Ellipsen gefunden! Mit diesen habe ich mich beschäftigt. Wir glauben dass sich blaue Spiralen im Laufe der Zeit in rote Ellipsen verwandeln, möglicherweise durch Verschmelzung mit anderen Galaxien.

E-MEDIA: Wie viele Galaxien sind mit unserer heutigen Technik sichtbar und was erwartet uns diesbezüglich in den nächsten Jahren? Wird Galaxy Zoo in der Auswertung der neuen Bilder eine Rolle spielen?

Thomas: Es sind Milliarden von Galaxien sichtbar. Die heutige Teleskoptechnik erlaubt es, extrem weit entfernte Galaxien zu beobachten, die über zehn Milliarden Lichtjahre entfernt sind. Das heißt, wir schauen so weit zurück in die Vergangenheit, dass wir Galaxien sehen, wie sie gerade entstehen. In Zukunft werden Teleskope und Instrumente gebaut, die immer größere Teile des Himmels immer tiefer belichten. Das heißt die Galaxien, die zu klassifizieren sind, werden immer mehr und Galaxy Zoo wird eine immer größere Rolle spielen.

E-MEDIA: Was sind derzeit die spannendsten Themen in der Astrophysik?

Thomas: Eine Frage, die viele Wissenschaftler in der Astrophysik und Kosmologie beschäftigt ist: Wie entstehen Galaxien? Wir haben eine Theorie, die recht schlüssig zu sein scheint. Angefangen hat alles mit kleinen Dichtefluktuationen der Dunklen Materie im frühen Universum kurz nach dem Urknall. Diese Fluktuationen führten mit der Zeit zu tiefen Potenzialtöpfen, die sich von der allgemeinen Expansion des Universums abkoppeln. Diese ziehen dann auch gewöhnliche sogenannte baryonische Materie - das Material aus dem Sterne gemacht sind - in Form von Gas und Staub an. Daraus bilden sich dann Sterne und somit Galaxien. Ein Kern dieser Theorie ist es, dass sich zuerst kleine Galaxien bilden, die dann zu größeren verschmelzen. Und hier liegt das Problem. Wenn wir uns Galaxien im Universum anschauen, ist es genau umgekehrt. Die größten Galaxien scheinen seltsamerweise zuerst entstanden zu sein. Wie passt das zusammen? Die Vermutung ist, dass es noch viele komplizierte Prozesse auf diesem Entstehungsweg gibt, die das ganze umdrehen, und deren Physik wir noch nicht verstehen. Eine Möglichkeit ist, dass supermassive Schwarze Löcher in den Galaxienzentren die entscheidende Rolle spielen. Ein andere ist, dass Galaxienkollisionen wichtig sind. Wissen tun wir es aber nicht. Daher untersuche ich Galaxien nah und fern, um ihre Eigenschaften zu untersuchen und so ihre Entstehungsgeschichten, die Rolle der Schwarzen Löcher etc. zu erfassen. Unsere Hoffnung ist, dass die Untersuchung von Millionen von Galaxien uns hilft, das Geheimnis der Galaxienentstehung zu lüften. Es ist natürlich auch möglich, dass alles an unserer Theorie falsch ist, dunkle Materie gar nicht existiert, und Einsteins Gesetze der Gravitation unzureichend sind. Es wäre sehr aufregend, wenn unsere Forschungsergebnisse uns in diese Richtung führen.

E-MEDIA: Wie sieht die Zukunft von Galaxy Zoo aus?

Masters: Das große Thema derzeit ist die Integration der Aufnahmen des Hubble Teleskops. Hubble sieht Galaxien, die sehr viel weiter weg sind als die aus dem Sloan Digital Sky Survey. Das heißt, wir sehen damit auch in die Vergangenheit zurück. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Galaxy Zoo früher oder später weitere Wellenlängen abdecken wird, mit Bildern aus dem Infrarotbereich oder sogar Radioteleskopen wie LOFAR.

(Manfred Huber/E-MEDIA)