Microsoft geht vor EU-Gerichtsanhörung in Offensive: "Präzedenzfall bringt nichts!"

Im Gerichtsstreit um die EU-Sanktionen gegen Microsoft geht der weltgrößte Software-Konzern in die Offensive. Microsoft-Chefjurist Brad Smith sagte in Brüssel: "Der von der Kommission geschaffene Präzedenzfall bringt Europa und die Welt nicht vorwärts, sondern in die falsche Richtung." Die Anwälte von Microsoft wollen sich von Donnerstag an bei einer Anhörung im Luxemburger EU-Gericht Erster Instanz in Luxemburg mit ihren Argumenten Gehör verschaffen.

Der Europäische Gerichtshof der Ersten Instanz in Luxemburg muss darüber entscheiden, ob die von den EU-Wettbewerbsbehörden gegen den weltgrößte Softwareproduzenten verhängten Sanktionen bis zu einer endgültigen Gerichtsentscheidung ausgesetzt werden oder nicht. Am Donnerstag und Freitag, möglicherweise auch noch am Samstag dieser Woche, wird das Gericht dazu beide Seiten hören.

Integration von Fremdsoftware erleichtern
Die EU-Kommission hatte im März gegen Microsoft eine Strafe von 497 Mio. Euro und damit die höchste jemals von ihr ausgesprochene Kartellstrafe angeordnet. Zudem verlangt die Wettbewerbsbehörde, dass Microsoft die Integration von Fremdsoftware in sein Betriebssystem Windows erleichtert. Nach Überzeugung der Kommission hat die US-Firma ihre beherrschende Stellung auf dem Markt für Computer-Betriebssysteme missbraucht.

Rechtsberater Smith sagte, Microsoft werde jede Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes akzeptieren - auch wenn für die Firma ein irreparabler Schaden entstehen würde, sollte sie die Auflagen tatsächlichen erfüllen müssen. Die EU-Kommission dürfte dagegen vor dem Gerichtshof argumentieren, dass die Strafen bedeutungslos würden, wenn sie erst am Ende eines jahrelangen Rechtsstreits wirksam werden dürften und sich der Softwaremarkt bis dahin längst weiter entwickelt habe.

Windows ohne Media Player
Konkret verlangt die Kommission von Microsoft, das weltweit meistgenutzte PC-Betriebssystem Windows in Zukunft auch ohne den bisher fest integrierten "Media Player" zu verkaufen, mit dem Musik und Videos auf dem PC abgespielt werden können. Computer-Hersteller wären damit in der Lage, ihre Geräte auch mit anderen Abspielprogrammen wie dem RealPlayer des Microsoft-Konkurrenten RealNetworks auszuliefern. Aus Kommissionskreisen hieß es, der Vorsitzende des Europäischen Gerichtshofs der Ersten Instanz, Bo Vesterdorf, habe von Microsoft bereits eine Erklärung verlangt, warum das Unternehmen keine Windows-Version ohne den Media Player herausbringen könne.

Die EU-Kartellbehörde fordert von Microsoft auch, Wettbewerbern bestimmte Software-Protokolle zugänglich zu machen, damit diese eigene Programme besser in Windows einbinden können. Microsoft verweigert dies jedoch mit der Begründung, dass dadurch Patente und andere eigene Exklusivrechte untergraben werden könnten. Als Beispiel nannte Smith eine Software, die auf tragbaren PCs automatisch stets den nächsten Drucker einstelle - egal ob der Laptop nun gerade in London oder in New York mit dem Firmennetzwerk verbunden werde. Konkurrenten sollten nicht von dieser von Microsoft entwickelten Technologie profitieren.

Auflagen ärgern Microsoft
Microsofts Klage gegen die von der Kommission verhängte Rekordstrafe sowie die angekündigten Auflagen wird in einem weiteren Verfahren von einem dreiköpfigen Gericht verhandelt. Dies könnte bis zu drei Jahre dauern. Besonders schwer wiegen für den US-Softwarehersteller vor allem die verhängten Auflagen. Die Geldstrafe von 497 Mio. Euro (rund 611 Mio. Dollar) trifft das Unternehmen angesichts eigener Reserven von mehr als 50 Mrd. Dollar dagegen weitaus weniger hart. (apa/red)