Gedächtnis auf Windows-Basis: Microsoft forscht nach Ordnungs- und Suchsystemen

Microsoft-Chefentwickler Gordon Bell (67) hat es sich zum Ziel gesetzt, den unvollkommenen grauen Zellen des menschlichen Gedächtnisses Unterstützung durch Computer-Chips angedeihen zu lassen: Alle Daten, denen ein Mensch im Lauf seines Lebens begegnet, jede geschriebene E-Mail, jede gelesene Webseite und jedes geschossene Foto wird man schon in naher Zukunft auf einer Festplatte speichern können - das eigentliche Problem wird jedoch darin bestehen, sie wieder auffindbar zu machen.

Die enormen Datenmengen, die sich durch die neuen digitalen Aufzeichnungsmöglichkeiten ergeben, erfordern auch für die persönliche Nutzung - etwa für die privaten Fotos - neue Ordnungssysteme, sagte Bell, der vergangene Woche an den Technologiegesprächen im Tiroler Konferenzort Alpbach teilgenommen hat. "Diesen Wettbewerb gewinnen wir auf jeden Fall, weil unsere Konkurrenz - Schuhschachteln und Schubladen - so schlecht ist."

Software "MyLifeBits"
Bell arbeitet mit seinen Mitarbeitern in San Francisco an einer Software namens "MyLifeBits", die es ermöglichen soll, die digitalen Versatzstücke ohne großen Suchaufwand wieder zu finden, denn "in den Unternehmen geht enorme Zeit drauf, um verlorene Daten wiederzufinden". Für den künftigen Nutzen von MyLifeBits für die Privatnutzer nennt Bell beispielhaft die zahlreichen Bildschirmschoner, die es im Haushalt der Zukunft geben wird: Bildschirmschoner, die - entsprechend geordnet - die alten Fotos und Videos von einprägsamen Familien-Events dem Vergessen entreißen werden. "Wir werden Video für den (privaten) Nutzer erst so richtig wertvoll machen", gab sich Bell in einem Gespräch mit der APA überzeugt.

Triviale Probleme
Während der Alpbacher Gesprächskreis, an dem Bell teilnimmt, über die "digitale Unsterblichkeit" philosophiert, muss sich Microsoft-Experte Bell in seinem Arbeitsalltag mit sehr trivialen Problemen herumschlagen, zum Beispiel: Wie "annotiere" (beschreibe) ich Fotos und Videos mit einem minimalen Aufwand so, dass die Software sie verlässlich finden kann?

Backup-Management
Andere Probleme des "wirklichen Lebens", mit denen sich viele Privatnutzer noch herumschlagen, stellen für Bell/Microsoft - wenig überraschend - keine wirklichen Schwierigkeiten dar: Datenverlust wegen eines defekten Speichermediums? Eine reine Frage des Backup-Managements: "Ich bin 45 Jahre im Computergeschäft, und ich habe mit Ausnahme einer irrtümlich vernichteten Floppy keinen Datenverlust gehabt." Zu hoher Zeitaufwand für die Sicherheits-Backups? Mitnichten, wenn automatisch gesichert und nur der Zuwachs an Information ("incremental backup") gespeichert wird.

Wem gehören die Datenberge?
Dass sich bei beruflicher und privater Nutzung der digitalen Speichermöglichkeiten die Frage ergeben wird, wem die gesammelten Datenberge gehören, wenn man zum Beispiel den Job wechselt, gesteht Bell zu. Lösungen ließen sich aber finden, meint der Microsoft-Forscher: Etwa über klare Unternehmensrichtlinien zur Datenschutzpolitik oder dadurch, dass künftig "verschiedene Maschinen für verschiedene Leben" verwendet würden.

Berufs-Know-how vom Träger ablösen
Dass die Aufzeichnungen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber dazu genutzt werden können, das Berufs-Know-how von seinem menschlichen Träger "abzulösen" und ins Eigentum des Unternehmens überzuführen, sieht Bell nicht als besondere Gefahr. Die Unternehmen schienen daran auch nicht unbedingt interessiert zu sein, verweist Bell auf Erfahrungen mit den Gesprächsprotokollen in großen Unternehmen: Außer den dürren, aus rechtlichen Gründen unbedingt notwendigen Feststellungen enthielten diese Protokolle praktisch keinerlei "sublime Daten" mehr, meint der Forscher. (apa)