"Auf Assassin's Creed bin ich sehr stolz":
Jade Raymond im Interview mit E-MEDIA

Die 34-jährige Kanadierin Jade Raymond ist ohne Zweifel eine Ausnahmeerscheinung: Weiblich, attraktiv und erfolgreich sind Attribute, die vereint überhaupt nicht in die von Männern dominierte Spielebranche passen wollen. Nach 12 Jahren im verspielten Business trotzt sie aber weiterhin glamourös allen Klischees und arbeitet derzeit als Executive Producer am Nachfolger ihres Bestsellers "Assassin's Creed".

E-MEDIA: Was fasziniert Sie persönlich so an Videospielen?

Raymond: Ich habe in meiner Jugendzeit eine Menge Spiele gespielt. Mein Cousin zeigte mir bereits Text-Adventures als ich sieben Jahre alt war. Man könnte sagen, dass er es war, der mich so früh beeinflusst hat. Im Alter von zehn Jahren bekamen meine Schwestern und ich unsere erste Spielkonsole zu Weihnachten. Wir verbrachten etliche Stunden mit den NES-Klassikern und erst in meiner Teenager-Zeit, als ich versuchte, Freundinnen in die Spielhalle zu zerren, bemerkte ich, dass nicht alle Mädchen Videospiele so sehr mochten wie ich. Solange man sich mit etwas so vertraut macht, wenn man jünger ist, denkt man nicht daran, es später als Karriere in Betracht zu ziehen. Aber Spiele haben sich seit diesen anfänglichen Text-Adventures so weit entwickelt. Meiner Ansicht nach sind Spiele mit Abstand das spannendste Unterhaltungsmedium, weil wir immer noch über die Grenzen hinausgehen und laufend wieder neu erfinden, was ein Spiel ausmacht.

E-MEDIA: Sie sind als Executive Producer für Assassin’s Creed 2 tätig. Woraus besteht Ihr Aufgabengebiet?

Raymond: Als Producer war ich noch zu 100 Prozent auf ein einzelnes Spiel fokussiert, indem ich ein Entwicklungsteam gemanagt und alles Mögliche dafür getan habe, dass das Spiel innerhalb der vorgegebenen Zeit und des Budgetrahmens mit bestmöglicher Qualität auf den Markt kommt. Als Executive Producer bin ich nun für mehrere Spiele und Marken verantwortlich. Derzeit sind mir sechs Producer unterstellt, von denen jeder ein unterschiedliches Spiel in unterschiedlicher Entwicklungsphase managt. Ein großer Teil meiner Arbeit besteht daraus, eine konsistente Markenstrategie zu entwickeln und dann sicherzustellen, dass jedes Spiel, Comic oder andere Medium, an dem wir arbeiten, dazu beiträgt, die Marken zu stärken.

E-MEDIA: Sie sind auch erfahrene Programmiererin, wovon Sie in Ihrer Position gegenwärtig nicht mehr Gebrauch machen. Geht Ihnen das Programmieren manchmal ab?

Raymond: Mein erster Job nach der Universität war Spieleprogrammierer bei Sony. Das ist allerdings schon 12 Jahre her und ich habe bereits seit acht Jaren nicht mehr programmiert. Es war sehr zufriedenstellend einen Code zu schreiben und dann das Ergebnis spielen zu können, aber jetzt würde ich mir sehr schwer tun, wieder einzustiegen. Ich bin definitiv aus der Übung!

E-MEDIA: Können Sie uns ein bisschen über Ihre früheren Projekte erzählen, an denen Sie teilgenommen haben? Auf welches sind Sie am meisten stolz?

Raymond: Meine erste Berührung mit der Spieleindustrie hatte ich während eines Praktikums für „Edutainment Games“ bei IBM. Bei meinem ersten Vollzeit-Job für Sony arbeitete ich an Gesellschaftsspielen wie Jeopardy und Trivial Pursuit. Danach war ich bei Electronic Arts Producer von Sims Online. Erst nach acht Jahren in der Spieleindustrie bekam ich die Chance bei Ubisoft, mein Traumspiel realisieren zu können. Ohne Zweifel bin ich daher auch auf Assassin’s Creed sehr stolz. Man bekommt nicht oft die Gelegenheit, eine neue Marke von Anfang an auf die Beine zu stellen. Und obwohl das Spiel nicht perfekt ist, brach es den Rekord als am schnellsten verkaufte neue Marke aller Zeiten. Noch viel wichtiger war es allerdings, dass ich unglaublich viel Spaß daran hatte, weil ich mit einem sehr talentierten Team zusammenarbeiten konnte.

E-MEDIA: Assassin’s Creed wurde von der Spielerschaft sehr gut angenommen. Was aber viele gestört hat, war das monotone Spielprinzip. War das zurückblickend betrachtet Absicht oder Design-Fehler? Wie wird damit in Assassin’s Creed 2 umgegangen?

Raymond: Als wir anfingen, den ersten Teil zu entwickeln, waren Xbox 360 und Playstation 3 noch nicht am Markt. Wir hatten nicht einmal Development Kits, um unseren Code zum damaligen Zeitpunkt zu testen. Man darf auch nicht vergessen, dass wir nicht nur ein Spiel, sondern die ganze Technik dahinter neu entwickelt haben. Der Innovationsgrad war dabei sehr hoch: Assassin’s Creed war das erste Game, das Spieler in einer großen und detaillierten Umgebung überall herumklettern ließ. Es war auch das erste Spiel, das gleichzeitig über 150 eigenständig agierende Charaktere beinhaltete. Das kostete viel Entwicklungszeit, weshalb an anderer Stelle Abstriche gemacht werden mussten. Bei Assassin’s Creed 2 ist die Situation eine gänzlich andere. Xbox 360 und Playstation 3 sind mehrere Jahre am Markt, unsere Technologie ist fertig und die Marke verfügt über eine solide Grundlage. Deshalb können wir uns zu 100 Prozent auf großartiges Gameplay konzentrieren.

E-MEDIA: Assassin’s Creed 2 spielt in Italien während der Renaissance-Zeit. Das ist ein großer Unterschied im Vergleich zum Vorgänger. Weshalb haben Sie sich entschlossen, das Setting komplett zu verändern?

Raymond: In der Marke geht es um Attentate in ausschlaggebenden Momenten der Zeitgeschichte. Unser Plan war es, eine Marke zu entwickeln, wo den Spielern mit jedem neuen Teil ein neuer spannender Aspekt in der Geschichte der Menschheit gezeigt wird. Im ersten Teil spielt man Altair, den Attentäter, der den dritten Kreuzzug beendet und die Verschwörung der Templer dahinter aufdeckt. In Assassin’s Creed 2 können Spieler die Renaissance erleben, wie sie Geschichtsbücher noch nie dargestellt haben. Hauptcharakter Ezio wird große italienische Familien infiltrieren und das ruinieren, was in Wirklichkeit die ursprüngliche Mafia darstellte. Mit der Idee eines genetischen Gedächtnisses und Verschwörungstheorien als Grundlagen erlaubt uns die Marke, jeden Zeitpunkt in der Geschichte anzusteuern, in dem einer der Vorfahren von Desmond gelebt haben könnte.

E-MEDIA: Assassin’s Creed befasste sich vorwiegend mit der „DNA Zeitreise“, während Passagen in der Gegenwart bezüglich Länge und Gameplay deutlich unterrepräsentiert waren. Wird man der gegenwartsbezogenen Handlung im zweiten oder möglicherweise dritten Teil mehr Beachtung schenken?

Raymond: Desmond Miles (der Hauptcharakter in der Gegenwart) sieht in Assassin’s Creed 2 mehr Action. Man wird nicht unbedingt mehr Zeit damit verbringen, Desmond zu spielen, aber die Gegenwart wird definitiv actionlastiger sein.

E-MEDIA: Spielen Sie eigentlich auch nach der Arbeit?

Raymond: Natürlich! Survival Horror war immer schon mein liebstes Genre, weshalb ich derzeit meistens „Resident Evil 5“ oder „Dead Space“ spiele. Auf Flügen habe ich in letzter Zeit „GTA: Chinatown Wars“ gespielt.

E-MEDIA: Vielen Dank für das Gespräch!

(Interview: Manfred Huber / Übersetzung: Benjamin Brandtner)